Ampel-Halbzeit: „Zusammenhalt ist der Schlüssel, um Krisen zu meistern.“

Bild: Yannic Hinz

Das 49-Euro-Ticket ist ein Meilenstein in der Verkehrspolitik und für viele Menschen enorm entlastend.

 

Herr Stegner, vor zwei Jahren sind Sie aus Kiel nach Berlin gewechselt? Wie fühlen Sie sich damit?

Im Jahr 2008 traf ich Helmut Schmidt zu einem politischen Austausch in Hamburg. Damals riet er mir, für den Bundestag zu kandidieren. Diesem Rat bin ich mit etwas Verspätung gefolgt. Nach vielen Jahren im Kieler Landeshaus, überwiegend in besonderer Verantwortung, ist meine Leidenschaft für Politik ungebrochen. Einen neuen Weg in Berlin zu gehen, motiviert mich.

Helmut Schmidt hatte also recht, wie (fast) immer. Im Übrigen war es für mich besonders reizvoll, im Wahlkreis Pinneberg anzutreten…

 

Inwiefern?

Für mich schließt sich ein Kreis. In Rellingen machte ich meine ersten Schritte in der Kommunalpolitik. Das war 1989, als ich aus den USA zurückkehrte. Insofern habe ich eine besondere Verbindung zur Region. Und nicht nur das. Als direkt gewählter Abgeordneter trage ich eine besondere Verantwortung für die Menschen im Wahlkreis. Für diejenigen, die für mich gestimmt haben. Ebenso für diejenigen, die dies nicht taten.

 

Welche konkrete Verantwortung sehen Sie vor Ort?

Etwa der Bus- und Bahnverkehr hat durch die vielen Berufspendler im Kreis eine herausragende Bedeutung. Das 49-Euro-Ticket ist ein Meilenstein in der Verkehrspolitik und für viele Menschen enorm entlastend.  Wer etwa aus Pinneberg oder Wedel in die Hamburger Innenstadt pendelt, spart selbst gegenüber dem HVV-Abo knappe 50 Euro im Monat.

Und natürlich setze ich mich für das dritte und vierte Gleis zwischen Hamburg und Elmshorn ein, an dem ja auch der Bund ein Interesse hat. Die vielen CSU-Verkehrsminister aus Bayern haben den auch überregionalen Sinn des Ausbaus nicht erkannt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

 

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation, Klimakrise: Regieren Sie gerne?

Larmoyanz gehörte noch nie zu meinem Politikstil. Stattdessen ist es mein Bestreben, die Herausforderungen mutig anzunehmen und Menschen in Krisen nicht hängen zu lassen. „Niemanden allein lassen“, so formulierte es Bundeskanzler Scholz vor Kurzem. Daran wollen wir uns in der Koalition orientieren. Zusammenhalt ist der Schlüssel, um Krisen zu meistern.

Blicken wir etwa zurück auf die Pandemie. Solidarität hatte in dieser Phase zwei Facetten: Zum einen Rücksicht auf die Gesundheit und das Leben anderer zu nehmen. Denn Freiheit kann nicht Rücksichtslosigkeit bedeuten. Zum anderen ging es darum, Arbeitsplätze zu sichern.  Mit dem erleichterten Bezug von Kurzarbeitergeld und direkten Hilfen an Unternehmen haben wir Beschäftigung gesichert. Diese Kombination hat auch in der Energiekrise zusammen mit den Preisbremsen stabilisierende Wirkung entfaltet. Es ist immer besser, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren.

 

Die SPD steht für eine Wärmewende, die Menschen sich leisten können.

 

Apropos Energiekrise, welche Lösungen schweben der Koalition noch vor?

Wir haben uns bei der Energieversorgung, einem neuralgischen Punkt, zu abhängig von Russland gemacht, einem autoritären Regime, für das man keine Sympathien hegen kann. Das darf sich so nicht wiederholen, wir müssen bei den Energie-Lieferanten diversifizieren.

Der schnelle Ausbau von Flüssiggas-Terminals (LNG) wie in Brunsbüttel, zeigt, dass bei Infrastruktur-Projekten ein neues Tempo vorherrscht. Mittel- und langfristig brauchen wir klimafreundliche Lösungen für das Heizen. Kommunale Wärmeplanung und soziale Förderung für neue Heizungsanlagen mit bis zu 70 Prozent werden der Schlüssel sein. Zusätzlich schützen wir Mieterinnen und Mieter vor Kostenexplosionen. Die SPD steht für eine Wärmewende, die Menschen sich leisten können. Dabei ist zu betonen, dass alte Öl- und Gasheizungen auch weiterhin repariert werden dürfen.

Trotz der ausbleibenden Gas-Lieferungen aus Russland sind wir einigermaßen glimpflich durch den Winter gekommen. Die Sparanstrengungen haben gewirkt. Durch Kurzarbeit, Preisbremsen und direkte Hilfen, etwa für Rentnerinnen und Rentner, für Studierende oder Menschen, die Sozialtransfers beziehen, haben wir eine schwere Phase überstanden.

Die Inflation ist nun eine Folge der Energiekrise und eine weitere Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Was wir brauchen, sind anständige Löhne, damit die Menschen ihren Lebensstandard halten können.

 

Sie sind Vorsitzender des 1. Untersuchungsausschusses zu Afghanistan. Was sind die ersten Erkenntnisse?

Die Bilder aus Kabul aus dem August 2021 gehen mir nicht aus dem Kopf: verzweifelte Menschen, die versuchen auf abhebende Flugzeuge zu gelangen! Der Untersuchungsausschuss soll den Abzug der Bundeswehr und der afghanischen Ortskräfte aufarbeiten. Für abschließende Erkenntnisse ist es noch zu früh. Ein wesentliches Problem war aber, dass die Trump-Regierung ihre Verbündeten bei den Deals mit den Taliban außen vor gelassen hat. Gleichzeitig waren unsere Kenntnisse über die afghanische Gesellschaft zu gering, in der die Taliban im Vergleich zur Misswirtschaft der korrupten Regierungen als das kleinere Übel wahrgenommen wurden. Wobei schon zu betonen ist, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und die deutschen Hilfsorganisationen vor Ort viel Anerkennung erfuhren.

Unsere Aufgabe ist es in diesen Tagen, den Ortkräften, die uns vor Ort unterstützt haben, Schutz in Deutschland zu bieten, selbstverständlich auch ihren Familien, die ebenso um Leib und Leben fürchten. Hier wurde oft Bürokratie vor Humanität gestellt, etwa wenn Ausreisegenehmigungen nur digital und nicht ausgedruckt vorlagen. Leider kein Einzelfall.

 

Wir wollen gute Arbeitsplätze, von denen man leben kann.

 

Welche Ampel-Projekte, die bisher beschlossen worden sind, liegen Ihnen besonders am Herzen?

Die SPD ist eine Partei, die sich am Gemeinwohl orientiert, nicht an den Interessen der Besserverdienenden. Wir wollen gute Arbeitsplätze, von denen man leben kann. Deshalb haben wir den Mindestlohn von 12 Euro durchgesetzt. Beim neuen Bürgergeld gelten mildere Regeln bei der Anrechnung vom hart ersparten Geld. Wer zusätzlich arbeitet, darf mehr vom erarbeiteten Geld behalten und hat somit mehr übrig als jemand, der nicht arbeitet. Im ersten Jahr gilt zudem eine Schonfrist, in der die Angemessenheit der eigenen Wohnung nicht geprüft wird. Das ist ein Paradigmenwechsel.

Obendrein haben wir Verbesserungen bei den Renten beschlossen. Dafür haben wir den Rentenwert in Ost und West endlich angeglichen, der zur Berechnung der gesetzlichen Rente genutzt wird. Wer eine Erwerbsminderungsrente bezieht, erhält seit Juli 2023 einen kräftigen Aufschlag von 7,5 Prozent. Das gilt auch für Altfälle!

Hinzu kommen auf dem Arbeitsmarkt mehr Chancen für Menschen mit Behinderung, eine Ausbildungsgarantie, das erweiterte Wohngeld – und bald die neue Kindergrundsicherung, die bisherige Leistungen bündelt und den Kindern hilft, die besonders bedürftig sind. Sozialpolitisch sind wir auf dem richtigen Kurs.

 

Was wünschen Sie sich für die zweite Hälfte der Wahlperiode besonders?

Ich bin kein Pazifist, aber Kriegsgegner. Ohne den militärischen Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland würden wir heute nicht in einer Demokratie leben.

Die SPD muss immer Friedenspartei sein. Putin ist der Aggressor im Ukraine-Krieg. Wir unterstützen die Ukraine deshalb dauerhaft wirtschaftlich und humanitär, indem wir Menschen Schutz bieten — auch militärisch bei der Verteidigung. Eine Beteiligung der NATO und eine Entgrenzung des Kriegs darf es nicht geben. So fern es derzeit scheint: Sobald sich diplomatische Spielräume ergeben, sollten wir diese nutzen, um das Sterben in der Ukraine zu beenden. Das ist mein Wunsch. Das Getreideabkommen hat gezeigt, dass Diplomatie Erfolge bringen kann.

Gleichzeitig ist unsere Demokratie derzeit fragil. Die Krisen bereiten den Menschen Sorgen, die wir ernst nehmen. Die rechten Rattenfänger, die auf Angst und Sündenböcke setzen, sind allerdings Feinde der Demokratie. Unsere Geschichte lehrt uns, dass wir uns ihnen entgegenstellen und uns klar abgrenzen müssen.

 

Eine abschließende Frage: Sie sind leidenschaftlicher Anhänger des HSV. Schafft Ihr Herzensclub in diesem Jahr den Aufstieg?

Der Trainer Tim Walter sorgt für Kontinuität im Verein und hat mit seinem Ballbesitzspiel eine klare Vorstellung von gutem Fußball. Die Fans stehen hinter dem Verein wie lange nicht. Im kommenden Jahr spielt der HSV in Liga 1!

Herr Stegner, ich danke Ihnen für dieses Gespräch

Das Interview führte Yannic Hinz.

Downloads:

StegnersPinnebergDepesche_Ampel-Halbzeit

Pressebilder sind hier abrufbar.